Zu diesem Buch
Erinnerungen Einzelner gehören zu den Wurzeln des nationalen Gedächtnisses. Nationale Erinnerungskulturen stützen sich auf autobiographische
Erzählungen und ihre Bewertung prägt daher das kollektive Erinnern entscheidend. Doch wie wurde und wie wird Erinnerung von Einzelnen und von Gruppen
organisiert?
Die neuere historische Forschung über Erinnerungen an den Nationalsozialismus und die interdisziplinäre Gedächtnisforschung haben zu dieser Frage
Anregungen gegeben, welche die Autorinnen dieses Bandes aufgreifen. Anhand autobiographischer Texte von Personen des öffentlichen Lebens untersuchen sie, wie sich
deren Blick auf den Nationalsozialismus an verschiedenen Stationen ihres Werdegangs änderte bzw. festigte und welche Bedeutung die Jahre 1933 bis 1945 für die
vorgestellten Protagonisten und Protagonistinnen hatten. Welche Ereignisse und welche Entwicklungen wurden in den autobiographischen Texten erwähnt bzw.
hervorgehoben, welche Themen wurden ausgespart, welche Zusammenhänge wurden hergestellt?
Einen zweiten Schwerpunkt des Bandes bildet der Umgang der Geschichtswissenschaft mit diesen Autobiographien: Wurden sie häufig zitiert, am Rande zur Kenntnis
genommen oder ignoriert? Wurden ihre Aussagen bei der Übernahme in historische Darstellungen kritisch hinterfragt oder ungeprüft tradiert?
Die hier präsentierten Beispiele fordern dazu heraus, die Autobiographien bekannter und einflussreicher Vertreter der Gesellschaft neu zu lesen und weiter nach
autobiographischen Zeugnissen vergessener oder verdrängter Gruppen zu suchen. Der von den Autorinnen präsentierte Ansatz bietet so Anstöße für
eine differenziertere Erinnerungskultur.
Die Beiträge
Kirsten Heinsohn
Rechtfertigungen für gestern und heute. Bekenntnisschriften konservativer Politiker nach 1945
Angelika Schaser
Erinnerungskartell. Der Nationalsozialismus im Rückblick der deutschen Liberalen
Heide-Marie Lauterer
Einseitige Erinnerung. Sozialdemokratische Politikerinnen im Dritten Reich und in der Emigration
Christiane Eifert
Unternehmerinnen im Nationalsozialismus. Paula Busch und Käthe Kruse blicken zurück
Sabine Schleiermacher
"Humanistisch, dem Menschen dienend, ist deshalb das Ethos des Arztberufes". Die Beschreibung des Nationalsozialismus in ärztlichen Autobiographien in der DDR
Christine von Oertzen
Rückblick aus der Emigration: Die Akademikerinnen Erna Barschak (1888-1958), Susanne Engelmann (1885-1963?) und Lucie Adelsberger (1895-1971)